Trockene Augen, Müdigkeit und Schmerzen: Das Sjögren-Syndrom ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die Betroffenen das Leben massiv erschweren kann – oft, ohne dass Aussenstehende überhaupt etwas davon merken.
Autorin: Julie Ehrsam
Titelbild: Das Sjögren-Syndrom zeigt ein vielseitiges Krankheitsbild, das Betroffene unterschiedlich belastet. (Illustration: Julie Ehrsam)
Es ist 7 Uhr morgens, als Lena Müller den Wecker ausstellt. Ihre Augen fühlen sich trocken und kratzig an, als hätte sie Sandkörner darin. Ihr Mund ist so trocken, dass der erste Schluck Wasser zur Notwendigkeit wird. «Das gehört für mich zur Routine. Bevor ich aufstehe, trinke ich ein Glas Wasser und gebe Augentropfen in meine Augen, sonst komme ich gar nicht in den Tag», sagt sie.
Seit ihrer Diagnose vor fünf Jahren hat Müller gelernt, mit dem Sjögren-Syndrom zu leben. Laut dem Universitätsspital Zürich (USZ) handelt es sich dabei um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die eigenen Drüsen angreift und diese langfristig zerstört. Chronische Trockenheit, Müdigkeit und Schmerzen zählen zu den Hauptsymptomen, die oft nur schwer zu lindern sind.
Wie spricht man Sjögren-Syndrom aus?
Das Sjögren-Syndrom wird korrekt «Schögren-Syndrom» ausgesprochen. Der Begriff stammt aus dem Schwedischen und leitet sich vom Namen des Arztes Henrik Sjögren ab, der die Krankheit erstmals beschrieb. Das «sj» wird im Schwedischen wie ein weiches «sch» ausgesprochen, was im Deutschen oft zu Verwirrung führt.
Der Körper im Fokus: Symptome von Kopf bis Fuss
Diese interaktive Grafik zeigt die häufigsten betroffenen Körperstellen und die jeweiligen Beschwerden des Sjögren-Syndroms. Klicken Sie auf die Bereiche, um mehr zu erfahren.
Gestaltung: Julie Ehrsam , erstellt mit „Genially“ / Textquelle: Sjögren‘s Foundation (https://sjogrens.org/)
Nur Wenige sind betroffen
Weltweit sind nur etwa 0.03 bis 0.1 Prozent der Bevölkerung am Sjögren-Syndrom erkrankt. Nach Schätzungen des USZ sind dies in der Schweiz rund 8’000 Menschen, wovon im Durchschnitt neun von zehn weiblich sind. Meistens wird das Sjögren-Syndrom im mittleren Lebensalter diagnostiziert. Es können aber sowohl sehr junge als auch alte Menschen erkranken.
Ein Beispiel dafür ist Darja Aigner, bei der bereits im Alter von 21 Jahren das Sjögren-Syndrom diagnostiziert wurde. Dass die Krankheit viele verschiedene Gesichter haben kann, wird im folgenden Video über sie als Betroffene klar.
Der lange Weg zur Diagnose
Wie viele andere hat Lena Müller, die ihren richtigen Namen nicht preisgeben will, jahrelang unter ihren Beschwerden gelitten, bevor sie eine klare Diagnose erhielt. «Ende 30 setzten bei mir bereits die ersten Symptome ein. Über rund fünf Jahre wurde ich von Arzt zu Arzt geschickt, aber niemand konnte meine Beschwerden richtig einordnen», sagt die heute 49-Jährige. Viele ihrer Symptome, darunter die extreme Müdigkeit, wurden anfangs als Stress abgetan. Erst ein spezieller Antikörper-Test und eine Ultraschalluntersuchung der grossen Speicheldrüse brachten Klarheit.
Für Müller war es besonders belastend, nicht zu wissen, was los war. «Ich hatte Angst, dass ich mir alles einbilde. Mein Mann war damals mein grösster Rückhalt», sagt sie. Heute weiss sie, wie wichtig dieser Beistand für ihre mentale Gesundheit war.
Doch die Herausforderungen enden nicht mit der Diagnose. Neben den Symptomen können langfristig auch sekundäre Komplikationen auftreten. Warum diese in der Behandlung noch viel entscheidender sind, erklärt Chefarzt und Rheumatologe Dr. Stephan Gadola im folgenden Audio.
Bild: Professor Dr.med. Dr.rer.nat. Stephan Gadola

Gestaltung: Julie Ehrsam / Bildquelle: Bethesda Spital
Herausforderungen im Berufsalltag
Nach dem Frühstück beginnt Müller ihren Arbeitstag im Homeoffice als Sachbearbeiterin. Obwohl sie sich oft erschöpft fühlt, hilft ihr die Flexibilität: «Ich kann mir die Pausen so legen, wie ich sie brauche», sagt sie. Trotzdem sind selbst einfache Tätigkeiten herausfordernd. Regelmässige Augentropfen und eine Wasserflasche sind ihre ständigen Begleiter.
Zur Mittagszeit steht – statt wie sonst Erholung – ein Termin bei ihrer Ärztin an. «Die Behandlung besteht vor allem darin, die Symptome zu lindern, weil die Krankheit nicht heilbar ist», sagt Müller. Neben Augentropfen und Mundgelen nimmt sie entzündungshemmende Medikamente. Ihre Ärztin erzählt ihr von neuen Forschungsansätzen, die gezielt die Immunzellen regulieren sollen. Müller nickt, aber bleibt realistisch: «Ich weiss, dass es Jahre dauern wird, bis solche Behandlungen verfügbar sind.»
Trotzdem gibt es Hoffnung. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Sjögren-Syndrom kaum erforscht und wurde oft übersehen. Dank gezielter Studien und technologischer Entwicklungen sind heute erhebliche Fortschritte in Diagnostik und Therapie möglich. Welche Meilensteine die Forschung bereits erreicht hat und welche Perspektiven sie eröffnet, zeigt die folgende Zeitleiste. Klicken Sie auf die Meilensteine, um mehr über die jeweiligen Entwicklungen zu erfahren.
Gestaltung: Julie Ehrsam , erstellt mit „Knight Lab Timeline“ / Textquelle: Sjögren‘s Foundation (https://sjogrens.org/)
Unterstützung durch die Gemeinschaft
Am Nachmittag spürt sie die zunehmende Erschöpfung: «Ich plane meinen Tag so, dass ich spätestens um 16 Uhr Feierabend mache. Danach brauche ich Zeit, um mich zu erholen.» Für Aussenstehende bleibt die Krankheit oft unsichtbar, was Müller frustriert: «Es ist schwer zu erklären, warum ich mich nach ein paar Stunden Arbeit komplett ausgelaugt fühle.» Ihre Familie, bestehend aus ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern, unterstützt sie nach Kräften. Ihr Mann übernehme oft das Kochen und die Hausarbeit, wenn Müller nach einem anstrengenden Tag keine Energie mehr hat. «Ohne ihn würde ich das nicht schaffen», sagt sie dankbar. Besonders ihre zehnjährige Tochter zeigt einfühlsames Verständnis. «Manchmal kommt sie zu mir und fragt: ‘Mama, brauchst du eine Pause? ’, und das berührt mich sehr», erzählt Müller.
Austausch findet sie ausserdem in einer Selbsthilfegruppe in Aarau. «Das ist für mich wie ein sicherer Hafen. Dort wissen alle, wie es ist, mit Sjögren zu leben», berichtet sie. Mit einigen Mitgliedern hat sich sogar eine enge Freundschaft entwickelt. «Wir treffen uns manchmal privat und sprechen über alles – nicht nur über die Krankheit. Das tut unglaublich gut.»
Hoffnung auf Fortschritte
Abends surft Müller regelmässig in einem Onlineforum, das sich an Sjögren-Betroffene richtet. «Gerade für neu Diagnostizierte ist diese Plattform eine riesige Hilfe», sagt sie. Dort finden Betroffene nicht nur praktische Tipps, sondern auch emotionalen Beistand. «Ich wünschte, mehr Menschen würden diese Krankheit kennen und verstehen, was es heisst, damit zu leben», sagt Müller. Die Symptome seien unsichtbar, doch sie prägten jeden Moment.
Deshalb hat Müller kleine Rituale entwickelt, um ihren Alltag besser zu bewältigen. Jeden Abend macht sie es sich mit einer Tasse Kräutertee gemütlich und schreibt in ihr Sjögren-Tagebuch. «Darin dokumentiere ich täglich, wie es mir mit dem Syndrom mental und körperlich geht. So behalte ich den Überblick über den Krankheitsverlauf», erklärt sie.
Zudem helfe ihr das Tagebuch optimistisch zu bleiben: «Ich merke dadurch, dass es bessere und schlechtere Phasen gibt. Das Tagebuch erinnert mich daran, dankbar zu sein und das Beste aus meiner Situation zu machen.» So bleibt sie zuversichtlich: «Vielleicht wird es eines Tages eine Therapie geben, die unser Leben leichter macht. Bis dahin halte ich mich an der Gemeinschaft fest.» Ihre Familie und die Unterstützung durch andere Betroffene geben ihr die Kraft, sich jeden Tag aufs Neue dem Sjögren-Syndrom zu stellen.
Weitere Informationen
Für weiterführende Informationen zum Sjögren-Syndrom und Unterstützungsangebote für Betroffene stehen spezialisierte Webseiten und Selbsthilfegruppen zur Verfügung:
Spezialisierte Webseiten
Plattformen wie das Sjögren-Forum stellen umfassende Informationen zu Symptomen, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten bereit. Zusätzlich bietet das Forum die Möglichkeit, sich in einer Online-Community mit anderen Betroffenen auszutauschen.
Selbsthilfegruppen
Die Sjögren-Selbsthilfe Schweiz bietet Betroffenen und Angehörigen Austausch, Beratung und regelmässige Treffen, um Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu finden.
Medizinische Beratung
Viele Kliniken und spezialisierte Rheumatolog:innen in der Schweiz haben Erfahrung mit der Behandlung des Sjögren-Syndroms. Die Webseite des Forums enthält auch Listen von Ärzten und Fachzentren, die sich auf Autoimmunerkrankungen spezialisiert haben.
Kennst du das Sjögren-Syndrom? Finde es heraus!
Gestaltung Quiz: Julie Ehrsam , erstellt mit „Quiz für Seiten“

Reden und Lachen – das sind meine zwei Lieblingsaktivitäten. So möchte ich nicht nur mich selbst, sondern auch Andere unterhalten. Wie das professionell gelingt, lerne ich seit 5 Semestern im Bachelor Kommunikation und Medien an der ZHAW in Winterthur.