Es war einst das Instrument der Hirten, heute ist es ein Symbol für die Schweiz. Das Alphorn galt lange als Relikt der Vergangenheit, doch in den letzten Jahren ist dessen Popularität wieder angestiegen. Immer mehr angehende Musizierende entscheiden sich für dieses Instrument, das auch regelmässig auf grossen internationalen Bühnen zu hören ist. Ein genauerer Blick zeigt, dass hinter dieser Renaissance mehr steckt als ein kultureller Trend.
Autor: Loïc Merinero
Titelbild: 1006 Alphornbläserinnen und -bläser stellen den neuen Rekord für das grösste Alphornensemble auf. (Bildquelle: Simon Imhof, Bergbahnen Klewenalp-Stockhütte, Loïc Merinero)
Wer sich diesen Spätsommer auf die Klewenalp im Kanton Nidwalden verirrte, bekam etwas Erstaunliches zu sehen. Unter die Wanderlustigen mischten sich am letzten Augusttag 1’006 Alphornbläserinnen und -bläser. Ihr Ziel: einen neuen Weltrekord aufzustellen. Sie bevölkerten die Alp wie Ameisen ihren Bau und spielten sich ein. Unter die Zuschauenden mischte sich sogar Bundesrat Albert Rösti. Dann – auf das Zeichen des Dirigenten – wurde gemeinsam die Melodie „Uf dr Bänklialp“ geblasen und eine Vertreterin von Guinness World Records überreichte die Rekordurkunde. Ein solcher Anlass wäre wahrscheinlich noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Nicht nur, weil die sozialen Medien es einfacher gemacht haben, so viele Menschen zu erreichen, sondern auch, weil es damals wahrscheinlich noch nicht so viele Alphornbläserinnen und -bläser gab.
Heute spielen mehr Menschen Alphorn als noch vor zehn Jahren
Diese Behauptung lässt sich allerdings nur schwer mit Zahlen belegen. Es gibt keine Studie, die die Beliebtheit des Instruments über einen längeren Zeitraum untersucht hat. Dennoch lässt sich sagen, dass die Verbreitung des Alphorns in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Roman Portmann, Redaktor der SRF Musikwelle und Experte für Blasmusik, erkennt die wachsende Beliebtheit einerseits an der Anzahl Alphornkurse in der ganzen Schweiz. „Das Angebot hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Es gibt immer mehr private Anbieter und auch die Musikschulen nehmen das Instrument vermehrt auf. Ausserdem ist der Occasion-Markt praktisch ausgetrocknet. Wer ein gutes, gebrauchtes Instrument sucht, wird es schwer haben.“ Der Eidgenössische Jodlerverband schätzt die Zahl der aktiven Alphornbläserinnen und -bläser auf 3’000 bis 4’000. Die Organisatoren des Weltrekords auf der Klewenalp sprechen schweizweit gar von 5’000. Klar ist also: Das Alphorn ist weit davon entfernt, in Vergessenheit zu raten. Doch woran liegt das? Was hat sich verändert?
Mögliche Gründe für die wachsende Beliebtheit
Das Alphorn wurde bereits im 16. Jahrhundert verwendet, um Kühe zu rufen oder mit anderen Tälern zu kommunizieren. Es ist also schon lange ein fester Bestandteil der Schweizer Kultur. In der heutigen globalisierten Welt kann man oft das Phänomen beobachten, dass sich die Menschen auf ihre Traditionen und kulturellen Wurzeln besinnen. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung verstärkt. So ist anzunehmen, dass auch das Alphorn von diesem Trend der „kulturellen Wiederentdeckung“ profitiert hat. Das zeigt sich unter anderem darin, dass das Instrument vermehrt auch im Flachland, weit weg von den Bergen, aus denen es stammt, zu hören ist. So etwa auch in Winterthur, wo René Merinero jeden Morgen am Waldrand Alphorn spielt. Während der Corona-Pandemie wurde sein Büro-Job zu einem Home-Office-Job. Statt im morgendlichen Pendlerstress zu stecken, hat er die neugewonnene Zeit für etwas anderes genutzt: Er wurde Alphornspieler.
Seine Geschichte erzählt er in diesem Audio-Beitrag.
Ein weiterer Grund für die wachsende Beliebtheit des Instruments dürfte sein, dass es regelmässig auf grossen internationalen Bühnen zu hören ist. So klangen die Töne des Alphorns bereits an den Olympischen Spielen oder erfreuten die Besuchenden der „Expo 2020“ in Dubai. Auch der technische Fortschritt hat dazu beigetragen, das Alphorn für immer mehr Menschen attraktiv zu machen. Musste man früher noch ein viereinhalb Meter langes Stück Holz schleppen, passen die neuen, «zusammensteckbaren» Modelle in einen grösseren Rucksack.
Fredy Schnyder
alphornbauer aus Lustdorf TG
Vor ein paar Jahren wollten die Leute noch dreiteilige Alphörner, heute muss ich sechsteilige bauen.
Dass diese Varianten immer beliebter werden, weiss auch Fredy Schnyder. Er baut seit 40 Jahren Alphörner in seiner Heimwerkstatt im Kanton Thurgau. «Der Trend geht klar in Richtung tragbar. Vor ein paar Jahren wollten die Leute noch dreiteilige Alphörner, heute muss ich sechsteilige bauen. Das ist mehr Aufwand, aber wenn die Instrumente dann öfter benutzt werden, lohnt es sich auf jeden Fall». Zunehmend gibt es auch Alternativen aus Karbon, die besonders leicht sind und dem Klang eines Holzalphorns sehr nahekommen. Von diesen hält Schnyder allerdings nicht viel. «Sie sind schon praktisch, klingen aber doch nicht ganz so schön wie das Original.» Wie genau er seine Alphörner baut und warum er dabei noch auf Handarbeit setzt, erzählt er im folgenden Beitrag.
Das Alphorn hat sich nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Spielweise modernisiert. Immer mehr Menschen setzen das Instrument auch ausserhalb der Volksmusik ein. Es taucht zunehmend in Jazz, Pop oder Weltmusik auf. Auch in der Filmmusik ist es längst kein Unbekannter mehr.
Musikerinnen und Musiker, die das Alphorn neu erfinden
Was bedeutet das für die Schweiz?
Das Comeback des Alphorns sagt viel aus über die Schweizer Kultur und ihre Dynamik zwischen Tradition und Moderne. Das Instrument steht symbolisch für die Rückbesinnung auf kulturelle Wurzeln in einer globalisierten Welt. Seine wachsende Beliebtheit zeigt, dass viele Schweizerinnen und Schweizer traditionelle Werte und Bräuche schätzen und bereit sind, diese aktiv zu pflegen und weiterzugeben. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen oder Verunsicherung scheint eine verstärkte Rückbesinnung auf authentische kulturelle Symbole wie das Alphorn stattzufinden. Dessen Renaissance ist aber auch ein Zeichen für die Anpassungsfähigkeit der Schweizer Kultur. Künstlerinnen wie Eliana Burki oder Lisa Stoll, die das Alphorn in moderne Genres wie Jazz oder Pop integrieren, beweisen, dass die Schweizer Tradition trotzdem nicht starr, sondern offen für neue Interpretationen und Einflüsse ist. So bleibt das Alphorn ein Instrument, das Brücken schlägt: zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Innovation, den Bergen und der Welt.

Ich produziere leidenschaftlich Videos und schreibe gerne. Ich bin im fünften Semester des Journalismus-Studiums, wo ich lerne, journalistische Texte ansprechend zu gestalten und Beiträge multimodal umzusetzen. Durch grosses Eigeninteresse und meine Berufserfahrung bei Radio Top und Tele Top bin ich auch imstande Audio- und Video-Beiträge selbständig zu gestalten, welche Informationen gezielt herüberbringen, aber auch Emotionen vermitteln können.