Seit den 80er-Jahren experimentiert Barcelona mit verkehrsberuhigten Quartieren – sogenannten Superblocks. Ab 2025 sollen auch Zürich zwei Pilotprojekte an den Start gehen. Doch was sind Superblocks? Und wie sollen sie hierorts aussehen?
Text, Grafiken & Bilder: Jakob Hediger | Titelbild: Die Strassen in den Zürcher Quartieren sollen verkehrsberuhigt werden. Superblocks bieten sich dabei als Lösung an.
Superblocks sollen die Städte verändern. Das Konzept sieht vor, Wohnquartiere sicherer zu machen, ohne die Mobilität gross einzuschränken. Dabei werden mehrere Häuserblocks zu einer Einheit zusammen genommen – zu einem sogenannten Superblock.
In diesen Blocks setzt das Konzept auf Verkehrsberuhigung. Mit Einbahnverkehr, 20er-Zonen und Strassensperren soll der motorisierte Durchgangsverkehr gezielt aus den Quartieren weggehalten (?) werden. Fussgängerinnen und Radfahrer dominieren die Strassen. Anlieferungen und Anwohnende dürfen weiterhin in die Blocks hineinfahren.

Superblocks sollen die Quartiere vom motorisierten Durchgangsverkehr befreien. Grafik: Jakob Hediger
Damit verbunden ist auch eine ökologische und soziale Aufwertung: Bäume, Sitzgelegenheiten und neue Freiräume sollen die Lebensqualität in den Quartieren verbessern. Der Begriff hat seinen Ursprung in Barcelona, wo der Stadtplaner Salvador Rueda in den 80er-Jahren die Idee entwickelte. Heute sind Superblocks Teil der Identität der katalanischen Grossstadt. Auch London, Mailand, Berlin und Wien haben in den vergangenen Jahren ähnliche Konzepte eingeführt.
Vier Pilotprojekte in Zürich bis 2026
Auch die Stadt Zürich plant, Superblocks einzuführen. Sie nutzt dafür nicht den superlativen Begriff Superblock sondern spricht ganz pragmatisch von «Quartierblöcken». Das Konzept bleibt jedoch dasselbe wie bei den Superblocks.
Je ein Pilotgebiet bei der Anwandstrasse im Kreis 4 sowie im Gebiet Unterstrasse im Kreis 6 soll bis in diesen Herbst umgesetzt werden. Voraussichtlich ein Jahr später folgen zwei weitere Pilotprojekte in Seefeld und Riesbach. Mit den derzeit laufenden Mitwirkungsprozessen möchten die Verantwortlichen der Stadt die Quartierbevölkerung aktiv in den Gestaltungsprozess einbinden.
An der Auswahl der Pilotprojekte war unter anderem der studierte Verkehrsplaner Thomas Hug-Di Lena beteiligt. Er und sein Team haben über 50 Gebiete analysiert und geprüft, wo die neuen Superblocks geeignet wären. Der geplante Block rund um die Anwandstrasse bringt die optimalen Voraussetzungen mit: «Hier hat nur noch knapp jede zehnte Person ein Auto», erklärt Hug Di-Lena. Zudem sei das Gebiet ohnehin schon eher ruhig, es gibt eine Schule sowie Restaurants. Auch eine aktive Bevölkerung, die das Quartier mitgestalten will, lebe hier. Die Wohngenossenschaft GMBZ hatte sich etwa bereits vor einigen Jahren für eine grüne Aufwertung des Quartiers eingesetzt.
Die Zürcher Projekte ähneln zwar jenen in Barcelona, doch es gibt Unterschiede: Die Strassen und vor allem die Kreuzungen seien dort deutlich grösser. «Die Kreuzungen hier sind winzig im Vergleich zu Barcelona», sagt Hug-Di Lena. In Barcelona habe man mit diagonalen Sperren viel Platz gewonnen. In Zürich sei das nicht möglich, man müsse eher einzelne Strassenabschnitte umnutzen, wo es keine Einfahrten gibt. Blaulichtfahrzeuge hätten selbstverständlich immer Zutritt. Platz soll auch mit neuen Einbahnabschnitten gewonnen werden.
Mehr Freiraum und Einbahnstrassen – So könnten Zürichs Quartierblöcke aussehen
Gesperrte Kreuzungen und neu gestalteter Einbahnverkehr sollen. Auch gesperrte Strassenabschnitte (Bild 2) dürften in Zürich zur Anwendung kommen. (Bilder und Design: Jakob Hediger)
Ansätze wie diese sind in Zürich nicht gänzlich neu. Der Röntgenplatz und der Hallwylplatz sind bereits seit Jahren verkehrsberuhigt. Die geplanten Quartierblöcke seien gewissermassen «eine alte Idee, einfach neu aufgefrischt», meint Hug-Di Lena.
Doch nicht alle begrüssen die Idee dieser neuen Quartiere. Als 2022 im Gemeinderat das Postulat, auf dem die heutigen Projekte basieren, diskutiert wurde, sprach die FDP von einer «Planungshölle». Zürichs Strassennetz sei nicht wie in Barcelona in einem Schachbrettmuster angelegt. Auch heute blickt die Partei skeptisch auf das Vorhaben. Gemeinderätin Martina Zürcher sagt, dass Zürich bereits zahlreiche Freiräume wie Stadtwälder oder das Seeufer habe.

Bereits seit den 1980er Jahren ist der Röntgenplatz im Kreis 5 frei von motorisiertem Verkehr. Heute gilt er als Vorbild für neue, verkehrsberuhigte Quartiere in Zürich. (Bild: Jakob Hediger)
Zudem fürchtet sie Einschränkungen für die Bevölkerung und das Gewerbe: «Künstliche Sperrungen schränken Anwohnende, Kundinnen und Kunden sowie Dienstleistende im Alltag stark ein», meint Zürcher.
Verkehrsplaner Hug-Di Lena entgegnet dem: «In der Stadt hilft jede Aufwertung des öffentlichen Raums dem Gewerbe.» Denn je weiter weg ein Parkplatz von einem Laden ist, desto mehr potenzielle Laufkundschaft gibt es.
Die Sache mit der Gentrifizierung
Städtische Aufwertungen gehen oft mit steigenden Mieten einher. Beim Pilotprojekt im Kreis 4 sieht Hug-Di Lena jedoch kaum die Gefahr einer weiteren Gentrifizierung. Zum einen gibt es im Kreis 4 bereits einige Wohngenossenschaften, die hohe Mieten abfedern. Auch sei das Quartier ohnehin schon relativ ruhig und deshalb die Mieten relativ hoch, meint Hug-Di Lena. «Ein Quartierblock wird dieses Problem nicht gross verschärfen.» In der Superblock-Hauptstadt Barcelona sei das jedoch anders: Dort würden stellenweise dreispurige Strassen geschlossen und der Lärm deutlich reduziert, was die Attraktivität und damit die Preise markant erhöht.
In Zürich steht die Verringerung von Emissionen oder Lärm ohnehin weniger im Mittelpunkt. Das Ziel sei primär die Rückgewinnung von Freiräumen. «Vielleicht hat es sogar einen gegenteiligen Effekt und die Mieten sinken, wenn die Strassen wieder belebter und damit etwas lauter werden», meint Hug-Di Lena. Genau dafür seien Pilotprojekte da: um herauszufinden, welche Auswirkungen die Massnahmen tatsächlich haben. Gentrifizierung solle kein Totschlagargument sein, um jede Verbesserung der Strasse von vornherein zu verhindern.
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Interview mit Stadtplaner und Superblock-Experte Jordi Honey-Rosés
«Ich bedaure, dass die Superblocks in Barcelona zu sehr politisiert wurden»
In den 1990er begann Barcelona, die ersten Superblocks zu entwickeln. Die katalanische Stadt ist mittlerweile zu einem Mekka für Stadtplaner:innen geworden. Einer, der sich mit den sogenannten «Superilles» auskennt, ist Jordi Honey-Rosés. Er ist Professor und Forscher für Stadtplanung an der «Universitat Autònoma de Barcelona» und erklärt im Interview, wie neue Superblocks gestaltet werden und ob sie auch in einer Stadt wie Zürich funktionieren können.
Jakob Hediger: Gab es bei der Einführung der Superblocks in Barcelona Widerstand, und wie sah dieser aus?
Jordi Honey-Rosés: Im Grossen und Ganzen sind die Leute sehr zufrieden mit der Umgestaltung. Aber jeder Standort und jede Phase haben eine andere Dynamik. Bei einem Projekt im Jahr 2016 gab es Widerstand, weil die Öffentlichkeit nicht ausreichend einbezogen wurde. Das lag daran, dass die Stadt einen sehr langen Prozess der öffentlichen Beteiligung durchführte und dann aus dem Nichts ihre Pläne änderte. In San Antoni (Quartier in Barcelona, Anm. d. Red.) hingegen wurde die Öffentlichkeit sehr gut einbezogen und die Akzeptanz war viel höher.
Wenn es mehr Grünflächen und weniger Lärm gibt, steigen auch die Mieten. Wie geht Barcelona mit dem Problem der Gentrifizierung rund um die Superblocks um?
Die Städte haben nur begrenzte Möglichkeiten, die Gentrifizierung zu bekämpfen, da wichtige politische Massnahmen wie die Mietpreiskontrolle oft auf nationaler Ebene geregelt werden, sodass sie auf Massnahmen wie die Regulierung der Flächennutzung oder Quoten für günstigen Wohnraum setzen. In Barcelona beispielsweise müssen 30 Prozent der neuen Wohnbauprojekte ab einer bestimmten Grösse in den sozialen Wohnungsbau fliessen. Das trägt dazu bei, günstige Wohnungen in teurere Viertel zu integrieren und eine Verdrängung der Bewohner:innen in die Peripherie zu vermeiden. Wir befinden uns immer noch in einer marktgesteuerten Welt, was die Bekämpfung der Gentrifizierung zu einer ständigen Herausforderung für die Städte macht.
Bewohner:innen, die nicht in Superblocks leben, befürchten, dass ihre Quartiere mehr Autos, Verkehr und Lärm bekommen. Wie begegnen Sie diesen Bedenken?
Bei der Superblock-Strategie geht es nicht darum, eine Oase zu schaffen, sondern darum, alle Strassen zu beruhigen und zu verbessern – Quertierstrassen wie auch Hauptverkehrsachsen. Wenn man die Anzahl der Fahrspuren reduziert, verlagert sich der Verkehr nicht woanders hin, sondern er nimmt in der ganzen Stadt ab. Wenn sich Menschen um den Verkehr in der Stadt sorgen, dann sind wir auf derselben Seite. Unser Ziel ist es, den Verkehr und den Lärm in der gesamten Stadt zu reduzieren.
Welche Faktoren bestimmen, wo ein Superblock eingerichtet wird?
Es gibt eine Menge verschiedener Kriterien, wobei es in jedem Fall etwas anders aussieht. In der Anfangsphase wurden die Superblocks in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte wie dem «22@» (Geschäftsviertel in Barcelona, Anm. d. Red.) errichtet und nicht im Herzen der Stadt, um innovative Lösungen zu testen. Der Superblock San Antoni wurde mit einer neuen Markthalle und laufenden Strassenbauarbeiten kombiniert. Der öffentliche Nahverkehr spielt bei der Standortwahl eine grosse Rolle; Strassen mit Buslinien werden seltener vollständig zu Superblocks.
Gegner:innen von Superblocks in Zürich argumentieren, dass man hier kein gradliniges Strassenraster wie in Barcelona hat. Glauben Sie, Superblocks können trotzdem funktionieren?
Es ist tatsächlich einfacher, verkehrsberuhigte Zonen in engen, mittelalterlichen Strassenlayouts, wie sie Zürich hat, zu errichten. Das sind die offensichtlichen Kandidaten für neue Umleitungen, da der Durchgangsverkehr bereits eingeschränkt ist. Die ersten Superblocks in Barcelona wurden auch nicht in einem geraden Strassenraster errichtet, sondern erst nach jahrelangen Diskussionen in dieses integriert. Das Raster macht die Superblocks zu einer starken Idee, weil sie dadurch auch in modernen Grossstädten wie Chicago oder Melbourne anwendbar sind.
Andere Bedenken kommen oft von Geschäftsinhaber:innen, die sich Sorgen um ihre Kundschaft machen.
Zeigen Sie mir die Daten dazu. Ruhige Strassen machen es für die Geschäfte oft besser, nicht schlechter. Fussgängerzonen werden zu Ausflugszielen; Menschen, die zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sind, geben eher mehr Geld aus. Angesichts des zunehmenden Online-Shoppings muss man das Stadt-Erlebnis überdenken – es sollte sozial und familienfreundlich sein. Der Widerstand von Ladenbesitzern ist ein universales Phänomen. Studien zeigen aber oft das Gegenteil: Verkehrsberuhigte Quartiere sind für Unternehmen von Vorteil.
Welche Lehren haben Sie aus der jahrelangen Erfahrung von Superblocks in Barcelona gezogen? Was würden Sie heute anders machen?
Ich bedaure, dass die Superblocks zu sehr politisiert wurden und zu stark an die führenden Politiker:innen gebunden waren, was eine breite Akzeptanz behindert hat. Die Idee des Superblocks sollte als gute technische Praxis und nicht als politische Agenda betrachtet werden.

studiert Kommunikation und Medien an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er schreibt am liebsten über Politik und Mobilität.