Seit 20 Jahren kümmert sich Anja Straumann in Gempen ehrenamtlich um hilfsbedürftige Igel und stellt dafür Ferien oder Abende mit Freunden hinten an. Ein Porträt.
Autorin: Melina Schneider
Titelbild: Anja Straumann kümmert sich Tag und Nacht um hilfsbedürftige Igel. (Bild: Melina Schneider)
Weihnachtszeit: Während sich die Menschen in ihren warmen Stuben die Bäuche vollschlagen, befinden sich die Wildtiere draussen im Winterschlaf – normalerweise. Denn immer häufiger sind Igel und Co. auch in den kalten Jahreszeiten anzutreffen. «Aufgrund der Klimaerwärmung erwachen sie öfter, finden dann aber keine Nahrung», sagt Anja Straumann.
Im Garten neben ihrem Haus im solothurnischen Gempen päppelt die 47-Jährige hilfsbedürftige Igel auf. Im Spätherbst und im Winter werden bei ihr vor allem kleine und schwache Tiere abgegeben. «Unter 800 Gramm lasse ich keinen Igel in den Winterschlaf», sagt Straumann und setzt Igel-Dame Neva auf die Waage: 557 Gramm. «Das ist sehr gut, wenn man bedenkt, dass sie nur 150 Gramm wog, als sie hierherkam.»
Wie verbringen Igel den Winterschlaf?
Im Video erklärt Anja Straumann, wann ein Igel in der kalten Jahreszeit Hilfe benötigt. Zudem gibt sie Tipps, wie man den stacheligen Säugetieren im eigenen Garten etwas Gutes tun kann.
Nicht nur die Klimaerwärmung und das schwindende Nahrungsangebot macht den Igeln zu schaffen. Sterile Steingärten, Verkehr und Mähroboter bringen die stacheligen Sympathieträger zusätzlich in Gefahr. Zeitweise würde sie in ihrer Station regelrecht in Arbeit ertrinken, zum Beispiel wenn an einem Tag vier neue Igel abgegeben werden. «Es ist ein Kampf gegen Windmühlen», sagt Straumann.
Erst im November wurde der Braunbrustigel von der internationalen Naturschutzorganisation IUCN als «potenziell gefährdet» eingestuft. Wird nichts dagegen unternommen, droht das einheimische Säugetier allmählich zu verschwinden. Dagegen kämpft Straumann mit ihrer Igelstation an.
Vollzeitjob, der nicht entlohnt wird
Schon als Kind lernt sie, was es bedeutet, Wildtieren zu helfen. Ihre Grosseltern nehmen verletzte Igel, seltener auch Vögel, Siebenschläfer und Co. bei sich auf und machen sie wieder fit. Damals, in den 1980er-Jahren, ist das Rascheln der Igel in den Büschen während der Dämmerung noch gang und gäbe. Als sie 15 Jahre später zurück auf den Gempen zieht, trifft sie die stacheligen Tiere kaum mehr an: Für Straumann ein Weckruf. In den frühen 2000er-Jahren beginnt sie, für den Tierschutz beider Basel Igelbabys aufzuziehen. Später kommen auch kranke und verletzt Igel hinzu.
«Ich könnte mir ein Leben ohne Tiere nicht vorstellen», sagt Straumann und strahlt. Die Gempenerin ist aufgestellt, streut immer wieder selbstironisch Sprüche ein, wenn es um ihre Leidenschaft für das Tierwohl geht. Spricht sie aber von Tieren, die leiden müssen, wird ihre Stimme ernster. Ihre Hunde stammen immer aus dem Tierschutz. Selbst gründet sie einen Verein speziell für Schäferhunde mit, ist lange im Auslandstierschutz tätig. Heute sind es die Igel, denen sie sich verschrieben hat. Rund 200 Tiere aus den beiden Basel, Solothurn und dem Aargau nimmt sie pro Jahr auf. Jedes einzelne wird liebevoll umsorgt, wenn nötig auch rund um die Uhr. «Das ist Connor, er muss noch entwurmt werden», sagt Straumann, als aus einer der Boxen ein dumpfes Husten ertönt. Andere Igel werden mit schweren Verletzungen in die Station von Anja Straumann gebracht.
Die Tierliebhaberin hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Der Haken: Sie erhält keinen Lohn. Einzig für ihre Arbeit bei Pro Igel Schweiz wird sie bezahlt. In einem 20 Prozent Pensum betreut sie unter anderem an drei Tagen die Woche die nationale Hotline. Der Rest ist Ehrenamt. «Das geht nur, weil mein Partner sozusagen einer normalen Arbeit nachgeht», sagt Straumann. Ihr Partner Michael Haberstich ist im Bauwesen tätig und viel in der Nordwestschweiz unterwegs. «So holt er öfters einmal nach Feierabend noch einen hilfsbedürftigen Igel ab, der bei uns gemeldet wurde.»
Zehntausende Franken Unterhalt
Zusammen mit Freunden gründete das Paar vor zwei Jahren den Verein «Igelhilfe Baselbiet», um den Unterhalt stemmen zu können. «Die ganze Pflege, von Futter bis Medikamente, kostet zehntausende Franken. Wir sind auf Spenden angewiesen.» Zudem wurde damals der Platz in den eigenen vier Wänden langsam knapp. Dank einer Sammel-Aktion konnten sie mit dem Verein einen Pavillon kaufen und ihn zu einer Station mit 15 Plätzen umbauen.
Zur Igelhilfe Baselbiet gehören nebst der Station in Gempen auch die Stationen in Binningen und in Wahlen. Zusammen haben sie im Jahr 2024 über 500 Igel aufgenommen. Zudem werden sie von vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern unterstützt. Nur gerade an drei Tagen in diesem Jahr beherbergte Straumann keinen Igel. Ihr Alltag ist voll: Igel werden gefüttert, gepflegt und medizinisch behandelt, oft bis spät in die Nacht. Und zwischendurch klingelt ihr ständiger Begleiter, das Telefon.
Auch Mutter Bea Straumann greift ihrer Tochter tatkräftig unter die Arme. Einen Igel, dem es schlecht geht, wieder aufpäppeln zu können: Das löse «Glücksgefühle» aus, erklärt Bea Straumann. Ihre Tochter schliesst sich dem an. Nebst dem ganzen Stress gebe ihr die Arbeit mit den Igeln viel zurück. «Würden die Tiere nicht bei uns landen, würden sie sterben. Es ist eine sinnvolle Arbeit, die motiviert.»

Unterstützung und Sensibilisierung gefordert
Straumanns Leidenschaft ist mit viel Verzicht verbunden. Das ganze Privatleben richte sich nach den Igeln. «Ferien zu machen, liegt nicht drin, und der letzte Abend mit Freunden ist auch schon eine Weile her.» Straumann würde sich deshalb von Kanton und Bund finanzielle Unterstützung für die Igelstationen wünschen. Ein «erster guter Schritt» sei das Projekt «Freie Bahn für Igel», das diesen Sommer das Vorkommen der Igel in den beiden Basel untersuchte (Mehr dazu weiter unten).
Doch auch bei der Sensibilisierung der Bevölkerung sieht Straumann Handlungsbedarf. «Der Mensch entfremdet sich mehr und mehr von der Natur und schadet dem Igel dadurch.» Dabei brauche es wenig, um den Tieren helfen zu können. «Ein Loch im Zaun, ein naturbelassener Garten, das Laub liegen lassen», sagt Straumann. Denn der Igel als Kulturfolger orientiert sich am Menschen. «Lasst uns, dem Igel das Leben nicht so schwer machen.»
Verein Igelhilfe Baselbiet
Haben Sie einen Igel in Not gefunden? Melden Sie sich bei:
Anja Straumann (Gempen): +41 (0)77 496 25 48
Susi Fasnacht (Binningen): +41 (0)77 439 73 45
34 Igel pro Quadratkilometer: Auf Spurensuche in den beiden Basel
Im Sommer hat ein Forschungsprojekt das Vorkommen der Igel in der Region untersucht. Das Resultat: In vielen Gebieten wurden Pfotenabdrücke gefunden. Es gibt aber auch Lücken.

Autorin: Melina Schneider
Um ganze 40 Prozent: So stark ging die Igelpopulation in Zürich zwischen den Jahren 1992 und 2017 zurück. 2022 wurde der Igel deshalb in der Schweiz in der neuen Roten Liste als «potentiell gefährdet» eingestuft, in diesem Jahr zog nun auch die internationale Naturschutzbehörde (IUCN) nach.
«Es ist noch kein Alarmzustand, aber wir machen uns definitiv Sorgen um den Igel», sagt Wildtierbiologin Sandra Gloor, Leiterin des nationalen Projekts «Wilde Nachbarn». Diese «beunruhigenden Entwicklungen» haben Gloor und ihr Team dazu veranlasst, das Vorkommen des stacheligen Säugetiers auch in den beiden Basel zu untersuchen.
In diesem Sommer wurde dafür das Projekt «Freie Bahn für Igel» ins Leben gerufen, finanziert durch die Stadtgärtnerei Basel-Stadt, das Baselbieter Ebenrain-Zentrum, und das Amt für Wald beider Basel.
Einerseits haben die Verantwortlichen Beobachtungsmeldungen aus der Bevölkerung gesammelt. Andererseits stellten Freiwillige in 54 Kilometerquadraten in Basel-Stadt sowie in Binningen, Bottmingen, Oberwil, Birsfelden, Muttenz, Pratteln, Frenkendorf und Liestal je 10 Spurentunnel auf. «60 Personen haben am Projekt teilgenommen. Es war beeindruckend zu sehen, wie sie sich während einer Woche intensiv engagierten», sagt Gloor. Die Spurentunnel enthielten Farb- und Papierstreifen. Wenn ein Igel hindurchlief, hinterliess er Pfotenabdrücke.


Eine «eher hohe» Igeldichte
Seit Dezember sind nun erste Resultate vorhanden: «Erfreulicherweise haben wir in vielen Gebieten Igelspuren gefunden. Sogar auch mitten in der Stadt», sagt Gloor. Die hochgerechnete Igeldichte von 34 Igeln pro Quadratkilometer sei im Vergleich zu anderen Orten in der Schweiz «eher hoch». In Zürich waren es zuletzt (2017) nur rund 20 Igel pro Quadratkilometer.
Dennoch gebe es auch in den beiden Basel Lücken und in der Dichte der Igel stellte man grosse lokale Unterschiede fest. «Es gab Gebiete, da wurden nur in zwei oder drei Nächten Spuren entdeckt. In anderen Quadraten wurden fast jede Nacht Pfotenabdrücke erhoben», sagt Gloor.
Wo in der Region Igelspuren entdeckt wurden

Rote Quadrate mit Igelsymbol: Igel nachgewiesen
Rote Quadrate ohne Igelsymbol: Keine Igel nachgewiesen
Gelbe und graue Quadrate: Keine Daten vorhanden oder Gebiet nicht untersucht
Die aktuellen Daten reichen aber nicht aus, um etwas über die Entwicklung der Igel in der Region Basel zu sagen. Dazu würden schlicht Vergleichszahlen aus früheren Jahren fehlen, erklärt Gloor. «Erst, wenn wir die Untersuchungen in ein paar Jahren wiederholen, können wir Aussagen treffen, was das für den Igel bedeutet.»
In einem nächsten Schritt werden nun die Daten genauer ausgewertet, um zu verstehen, welche Faktoren in den Lebensräumen Igeln helfen und welche ihnen schaden. Zudem sollen im nächsten Jahr auch im Birstal Spurentunnel aufgestellt werden, wieder in Zusammenarbeit mit freiwilligen Helferinnen und Helfern.

Igel in Siedlungsräumen unter Druck
Als einen der möglichen Gründe für den Igelrückgang in der Schweiz sehen Gloor und ihr Team die Abnahme der Insekten. Denn Igel sind Insektenfresser und ernähren sich von Käfern, Raupen, Würmern und Co. «Zudem geraten die Igel in den Siedlungsräumen aufgrund der starken Verdichtung unter Druck. Sie sind auf zusammenhängende Lebensräume angewiesen, aber die Gärten sind oft nicht zugänglich oder nehmen aus Natursicht in der Qualität ab.»
Deshalb sollen im nächsten Jahr Exkursionen in Wohnquartieren durchgeführt werden, um zu zeigen, wie schwierig für Igel ein Durchkommen oft ist. Ein weiterer Fokus liege auf der Sensibilisierung der Bevölkerung wie auch wichtiger Institutionen, zum Beispiel Gärtnerverbände oder Werkhöfe. Ziel ist es, auf Gefahren aufmerksam zu machen und Tipps zu geben, wie Igeln mit einem naturnahen Garten geholfen werden kann. «Wir müssen uns wieder bewusstwerden, dass die Grünräume nicht nur von uns Menschen genutzt werden», sagt Gloor.

Ich studiere im fünften Semester Kommunikation an der ZHAW in Winterthur im Teilzeit-Modell. Beruflich arbeite ich seit fünf Jahren im Basler Lokaljournalismus bei der Kleinbasler Zeitung und beim Onlinemagazin Prime News. Und bin seit jeher sportbegeistert, sei es aktiv in der Halle oder auch passiv im Stadion.