«Essen retten – Reste essen!» Nach diesem Grundsatz setzt sich die RestEssBar Schweiz seit zehn Jahren aktiv gegen Food Waste ein. Angefangen hat alles mit einem einzigen Kühlschrank in der Winterthurer Altstadt. Zum zehnjährigen Jubiläum blicken die Gründungsmitglieder Sarah Weibel, Seraina Fritzsche und Florian Sprenger auf die Anfänge der RestEssBar zurück.
Autorin: Elin Zahner
Titelbild: Die RestEssBar verwertet Lebensmittel, die Detailhändler:innen nicht mehr verkaufen dürfen.
Foto: Elin Zahner
Insgesamt 18 RestEssBars gibt es mittlerweile in der Schweiz. Nebst dem gemeinsamen Ziel Food Waste zu reduzieren, verbindet sie ihr einheitlicher Name, welcher vor 10 Jahren seinen Ursprung fand. Durch den Dokumentarfilm «Ohne Geld Leben» hörte Sarah Weibel 2014 zum ersten Mal von einem Kühlschrank-Projekt in Deutschland. Das Prinzip klang einfach: Nicht mehr benötigte Lebensmittel werden in öffentlichen Kühlschränken anderen zur Verfügung gestellt. «Warum gibt es so etwas nicht auch in Winterthur?», fragte sich die damals 27-Jährige und lud vier Freunde zum Brainstorming ein. Noch am selben Tag entstand das Fundament der ersten RestEssBar.

Um die Kühlschränke öffentlich zugänglich zu machen, mussten sich die Gründungsmitglieder einigen Herausforderungen stellen. «Wir hatten alle sehr wenig Ahnung», sagt Weibel. Die ganzen Abklärungen mit dem Lebensmittelamt seien aufwendig gewesen, und bei der Standortsuche hätten sie von der Stadt Winterthur keine Unterstützung erhalten. Doch aufgeben war keine Option. Über Facebook erzählten die Gründungsmitglieder von ihrer Idee und fragten persönlich bei Lebensmittelgeschäften nach Essensresten. Im Gegensatz zu den Behörden stiessen sie dort auf viel Zuspruch. So stellte ihnen Hasan’s Sandwich den Standort für den ersten Kühlschrank zur Verfügung und die Bäckerei Riboli und der Bioladen L’Ultimo Bacio ihre nicht verkauften Lebensmittel. Danach stand dem Start nichts mehr im Wege: Sarah Weibel, Seraina Fritzsche, Florian Sprenger, Anne-Laurence Zingg und Thomas Kuhn eröffneten mitten in der Winterthurer Altstadt die allererste RestEssBar.






Umwelt- oder Sozialprojekt?
Es dauerte nicht lange, bis das Kühlschrankprojekt Wellen schlug. Von der Idee, nur Menschen mit wenig Geld Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, mussten sich die Gründungsmitglieder schnell verabschieden. «Sobald etwas gratis ist, will jeder davon profitieren», sagt Fritzsche. «Das ging sogar so weit, dass manche mit ihrem BMW vor die RestEssBar fuhren und den ganzen Kofferraum füllten.» Solche Situationen seien natürlich nicht Sinn der Sache gewesen. «Es konnte nicht sein, dass wir bei jeder Lieferung Polizei spielen mussten, weil sich die Leute um die Lebensmittel stritten. Da verliert man die Freude an der Freiwilligenarbeit», sagt Sprenger.
Der Druck, genügend Reste für alle bereitzustellen, wurde immer grösser. «Wenn wir einmal keine Lebensmittel zu holen hatten, war das eigentlich ein gutes Zeichen», sagt Weibel. «Es bedeutete, dass keine Reste in den Läden übrigblieben und somit hoffentlich kein Food Waste entstand.» Doch der Anspruch der Menschen war ein anderer. «Die Diskrepanz zwischen dem, was wir wollten und dem, was die Leute erwarteten, wurde zum Problem», sagt Sprenger. «Da mussten wir uns entscheiden: Sind wir ein Umwelt- oder ein Sozialprojekt?» Da die Vermeidung von Food Waste von Anfang an oberste Priorität für den Verein hatte, sei die Antwort allen klar gewesen: «Die RestEssBar ist und bleibt ein Umweltprojekt». Um diese Grundhaltung auch der Kundschaft zu vermitteln, habe es einiges an Aufklärung gebraucht. «Viele haben es verstanden – das war schön – aber es wird immer Leute geben, die es nie begreifen werden», sagt Sprenger.
Zuspruch von links bis rechts
Mit dem Bekanntheitsgrad der RestEssBar wuchs auch die Arbeit. Es wurde Zeit, neue Helferinnen und Helfer ins Boot zu holen. Freiwillige zu finden, sei nie ein Problem gewesen: «Es haben immer alle mitgemacht – die Leute waren sehr sozial», sagt Fritzsche. Das sei auch bei den Spenden so gewesen. «Egal ob links oder rechts – fast alle fanden das Projekt toll», sagt Weibel. So bekamen sie zum Beispiel vom Veloladen Fateba Fahrräder geschenkt oder erhielten Putzmittel und sogar einen Kühlschrank von Privatpersonen. «Wir brauchten nicht viel, aber wenn wir etwas brauchten, konnten wir auf die Leute zählen. Das war cool», sagt Sprenger.
Neue Standorte und ein Dachverband
Mit Winterthur als Vorbild begannen sich andere Städte für das Kühlschrankprojekt zu interessieren. Statt selbst neue Standorte aufzubauen, beschlossen die Gründungsmitglieder, Beratungen anzubieten. Sie entwickelten einen Leitfaden, wie jede und jeder eine eigene RestEssBar gründen kann, trafen sich mit Interessierten und begleiteten sie bei ihren ersten Schritten. So entstanden bis heute 17 weitere RestEssBars.
Fragen, die nicht einen einzelnen Standort betrafen, wurden zunächst von den Gründungsmitgliedern aus Winterthur bearbeitet. Erst als der administrative Aufwand zu gross wurde, beschlossen sie, einen Dachverband zu gründen. Dieser vertritt bis heute gesamtschweizerisch die Anliegen der einzelnen RestEssBar-Standorte.
Die RestEssBar bleibt ein Herzensprojekt
Um sich auf den Dachverband zu konzentrieren, zogen sich Sarah Weibel, Seraina Fritzsche und Florian Sprenger immer mehr aus dem Tagesgeschäft zurück. In Winterthur gab es irgendwann genug Freiwillige, um die Touren auch ohne sie durchzuführen. Zwar nicht mehr an der Front, aber immer noch ehrenamtlich arbeiteten die Gründungsmitglieder für den Dachverband weiter. 2023 trat Sarah Weibel als letztes Gründungsmitglied aus dem Verein aus. «Mir war es ein Anliegen, dass er in guten Händen ist», sagt sie. «Die RestEssBar ist und bleibt für uns alle ein Herzensprojekt.» Doch nach jahrelanger freiwilliger Arbeit sei der Zeitpunkt gekommen, sich auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren.
Was ist Food Waste?
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) definiert alle für den menschlichen Konsum produzierten Lebensmittel, die auf dem Weg von der Landwirtschaft bis zum Detailhandel weggeworfen werden, als Food Waste. Dabei wird zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Lebensmittelabfällen unterschieden. Zu den unvermeidbaren gehören beispielsweise alle nicht essbaren Teile wie Rüstabfälle oder Knochen. Diese sind in der Regel nicht in den Food Waste-Zahlen enthalten.
Anders ist es bei den vermeidbaren Abfällen. Dazu gehören alle Lebensmittel, die essbar sind oder waren, aber wegen Verderb, Qualitätsmängeln oder Verfall nicht mehr konsumiert werden. Gemäss Berechnungen des WWF sind dies in der Schweiz jährlich 2,8 Millionen Tonnen, was rund 330 Kilogramm pro Person und einem Drittel aller Lebensmittel entspricht.

Im Einsatz für die RestEssBar Oberi

Die RestEssBar Oberi gehört zu den neuesten Standorten des Kühlschrankprojekts. Seit 2023 ist sie im Zentrum am Buck in Oberwinterthur zu Hause. Das Team besteht aus fünf Freiwilligen im Kernteam und zwölf weiteren Fahrerinnen und Fahrer. Mehrmals pro Woche können sie bei Detailhändler Lebensmittel abholen, die diese nicht mehr verkaufen dürfen. Sophia Leemann und Benjamin Kohler teilen sich das Co-Präsidium. Für sie ist die Freiwilligenarbeit zwar zeitintensiv, aber «eine tolle Sache».
«Jeden Tag Lebensmittel wegzuwerfen, härtet ab»
Um Food Waste zu vermeiden, verwertet die Bäckerei Riboli in Winterthur viele ihrer nicht verkauften Lebensmittel weiter. Vor zehn Jahren gehörten sie zu den ersten Detailhändlern, die damit die Restessbar unterstützten. Weshalb trotzdem Food Waste entsteht und wieso die Kühlschrankprojekte inzwischen zur Konkurrenz geworden sind, erzählt Bäckereibesitzer Massimo Riboli im Interview.


Was hat Sie vor zehn Jahren dazu bewogen, die Restessbar zu unterstützen?
Massimo Riboli: «Es hat uns gestört, dass wir unsere nicht verkauften Backwaren immer wegwerfen oder an Tiere verfüttern mussten. Dass unsere Produkte über die Restessbar an Menschen weitergegeben werden können, war definitiv die bessere Alternative».
Wie viele Lebensmittel bleiben jeden Tag übrig, da sie nicht verkauft werden können?
«Das ist schwer zu sagen, da wir es nicht protokollieren. Es gibt Tage, an denen nichts oder sehr wenig übrig bleibt, und es gibt andere, wo sehr viel übrig bleibt. Wir versuchen, das ein bisschen zu planen, aber es ist schwierig, weil es jeden Tag anders ist. Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen».
Wie viel davon geht an Vereine wie die Restessbar?
«Die Restessbar hat damals die Auflage bekommen, nichts abzugeben, was Milchprodukte und bestimmte Allergene enthält. Deshalb haben wir uns hauptsächlich auf übrig gebliebenes Brot und teilweise Backwaren beschränkt. Alles andere durften wir nicht abgeben. Etwas später kam die Ässbar dazu. Sie bekommt alles, was feucht ist – zum Beispiel Sandwiches.»
Und was landet im Eimer?
«Wir werfen nur einen ganz kleinen Teil weg – und das sind die Gipfeli. Das liegt daran, dass sie sehr viel Butter enthalten. Das kann gesundheitsschädlich sein, wenn man sie zu lange aufbewahrt. Aus dem gleichen Grund können wir sie auch nicht als Tierfutter verwenden. Deshalb landen die Übrigen am Ende des Tages im Eimer.»
Warum kommt es überhaupt zu einer Überproduktion?
«Wir sind natürlich sehr daran interessiert, nicht zu viel vorzuproduzieren, sondern lieber nachzubacken. Aber irgendwann kommt die Situation, dass wir nicht mehr nachbacken können, weil die Öfen zu kalt sind. Dann macht es ökonomisch und ökologisch keinen Sinn, sie wieder aufzuheizen. Ausserdem mögen es die Kunden nicht, wenn ihr Produkt ausverkauft ist oder sie warten müssen. Dann produzieren wir lieber etwas mehr.»
In der Schweiz werden im Detailhandel täglich über 765 Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Was empfinden Sie, wenn Sie solche Zahlen hören?
«Es ist ein Dilemma. Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, mit der Restessbar zusammenzuarbeiten. Aber was wäre, wenn alle Detailhändler mit der Restessbar zusammenarbeiten würden? Dann hätten sie plötzlich einen Überschuss. Wenn man jeden Tag Lebensmittel wegwirft, härtet das ab. Irgendwann denkt man nicht mehr darüber nach.»
Es gibt immer mehr Vereine wie die Restessbar, die Lebensmittel gratis oder günstiger abgeben. Haben Sie Angst, dadurch Kunden zu verlieren?
«Am Anfang hatten wir diese Gedanken nicht. Aber mit der Zeit haben wir gemerkt, dass auch die Restessbar eine Konkurrenz ist. Es gibt Kunden, die sagen: ‹Ribolis Waren sind auch am nächsten Tag noch gut, die hole ich mir lieber bei der Restessbar und zahle dafür nichts›. Die Konkurrenz ist aber nicht so gross, weil die Leute bei der Restessbar nicht zwischen verschiedenen Produkten wählen können. Da hat es einfach, was es hat.»
Umweltbelastung durch Food Waste
Lebensmittelabfälle haben Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. Laut BAFU belastet Food Waste die Umwelt so stark wie die Hälfte aller Autofahrten in der Schweiz. Je weiter hinten in der Lebensmittelkette ein Produkt entsorgt wird, desto mehr schadet es der Umwelt. Es macht also einen Unterschied, ob ein Bauer eine Tomate kompostiert oder eine Konsumentin eine Avocado wegwirft. Lebensmittel, für deren Herstellung viele Ressourcen wie Wasser, Boden oder Verpackung benötigt werden, belasten die Umwelt ebenfalls stärker.
Die Lebensmittelkategorien mit der grössten Umweltbelastung pro Kilogramm sind gemäss BAFU Fleisch, Kaffee- und Kakaobohnen, Butter, Eier, per Flugzeug importierte Produkte sowie Öle und Fette, Fisch und Käse. Auch die Verluste von Früchten, Gemüse und Kartoffeln sowie Brot und Backwaren sind trotz geringerer Umweltbelastung pro Kilogramm umweltrelevant, da sie in grossen Mengen anfallen.

Food Waste der zuhause entsteht
Private Haushalte verursachen gemäss BAFU 28 Prozent der Lebensmittelabfälle. Zum Beispiel, indem sie mehr einkaufen, als sie brauchen, oder indem sie Lebensmittel im Kühlschrank vergessen. Um diese Zahl zu reduzieren, kann jede und jeder einen Beitrag leisten.
Hier findest du fünf einfache Massnahmen, damit bei dir nichts mehr verdirbt oder vergessen geht:
Clever planen & einkaufen
Erstelle vor dem Einkauf einen Wochenplan mit konkreten Rezepten und schreibe nur auf, was du wirklich benötigst. Gehe nie hungrig einkaufen – so vermeidest du spontane Fehlkäufe.
Richtig lagern
Wusstest du, dass Tomaten nicht in den Kühlschrank gehören? Oder Karotten besser in einem feuchten Tuch frisch bleiben? Informiere dich über die richtige Lagerung von Lebensmitteln – das verlängert ihre Haltbarkeit deutlich.
Das FIFO-Prinzip anwenden
FIFO steht für «First In, First Out»: Platziere ältere Lebensmittel im Kühlschrank oder Vorratsschrank nach vorne, damit du sie zuerst verbrauchst. Neu gekaufte Produkte kommen nach hinten.
Reste kreativ verwerten
Reste vom Vortag sind oft die Basis für schnelle, neue Gerichte: Altes Brot wird zu Croûtons, reife Früchte zu Smoothies, und Gemüsereste zu Suppen. Kreativität spart Geld und Ressourcen.
Mindesthaltbarkeitsdatum kritisch prüfen
Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Verfallsdatum! Vertraue deinen Sinnen: Schau, rieche und probiere, ob ein Produkt noch gut ist. Viele Lebensmittel sind deutlich länger haltbar, als das Datum vermuten lässt.

Ich studiere Kommunikation mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW in Winterthur. Nach dem Studium möchte ich Videojournalistin werden, wo ich im Rahmen meines Praktikums bei SRF Gesichter & Geschichten bereits Berufserfahrungen sammeln konnte. Besonders interessieren mich Gesellschaftsthemen und Reportagen. Ich bin neugierig und offen für jegliche Herausforderungen.